Luftwurzeln schlagen im Architektursommer

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Umgebungsgeschichten aufgeschrieben - Eine Beobachtung von Werner Schandor

Die gebaute Lebensumwelt und die Auseinandersetzung mit allen Bereichen der Architektur hat sich mehr Aufmerksamkeit verdient.

Architektur ist wie Luft: Sie umgibt uns, ohne dass wir es merken, und das, obwohl sie omnipräsent ist – in den eigenen vier Wänden; in den Städten und Orten, in denen wir leben; in den Landschaftsräumen, die wir mit unseren Stra- ßen, Hütteln und Schiliften verbauen. Und gleich wie die Luft fällt uns Architek- tur meist nur dann auf, wenn sie uns besonders gut oder besonders schlecht erscheint. Ein gut geplantes und ausgeführtes Gebäude kann wie eine frische Brise sein, in der wir aufatmen und aufleben; einfallslose Zweckbauten aus Schal- beton dagegen triggern meist – ähnlich wie der Frischluftmangel in den Stauzo- nen der städtischen Einfallsstraßen – unseren Fluchtreflex. Sich mit der gebauten Umwelt auseinanderzusetzen und zu überlegen, warum manche Gebäude und Umgebungen so wirken, wie sie auf uns wirken, führt zu einer bewussteren Wahr- nehmung von Architektur. (Dazu muss man keine Architektin/kein Architekt sein.) Und das wiederum wirft verschiedene Fragen auf. Zum Beispiel:

Warum legen immer mehr Supermarktketten Wert auf eine ansprechende Gestaltung ihrer Märkte, während Banken vor allem im ländlichen Raum seit Jahrzehnten offensichtlich um die hässlichsten Filialen wetteifern? (Man könnte einen Wettbewerb der ästhetischen Zumutungen des heimischen Finanzsektors ausschreiben.)

Warum werden vor den Ortseinfahrten noch immer freihändig Flächen und manchmal sogar Gebäude für baulich ideenlose Einkaufszentren mit eingeschrie benem Ablaufdatum vernichtet, wenn dadurch bekannterweise die historisch gewachsenen Ortskerne dahinsiechen? Warum aber besuchen Touristen dennoch lieber die alten Ortszentren, wo doch die Einheimischen tagsüber eher in den Einkaufszentren anzutreffen sind?

Hängt vielleicht der Feng-Shui-Boom der vergangenen Jahre mit der desaströsen Entwicklung in unseren Ballungsräumen zusammen, weil man im Privaten etwas einlösen wollte, was im öffentlichen Raum immer schlechter gelingt, nämlich für eine gewisse Harmonie in der Gestaltung zu sorgen?

Und überhaupt: Warum fühlt man sich in manchen Bauten bzw. Umgebungen wohler als in anderen? Hat es mit der Materialwahl zu tun? Mit den Formen? Mit der Lage, dem Licht, der Aussicht?

Wenn man erst einmal anfängt, sich auch als Laie Fragen zur Architektur und Raumplanung zu stellen, kann es passieren, dass einem die Augen aufgehen und man die gebaute bzw. teils baulich verwüstete Umwelt immer klarer sieht. Und man beginnt, unterschiedliche Qualitäten verschiedener Räume – egal ob privater oder öffentlicher Natur – besser zu erfassen. Was dann noch fehlt, ist der Aus- tausch über die architektonischen Qualitäten, die uns umgeben: der Austausch mit anderen Interessierten und auch mit Leuten vom Fach, von denen man im Gespräch etwas lernen kann.

Hier kommt der Architektursommer ins Spiel, den sich das Grazer „Haus der Architektur“ aus Hamburg abgeschaut hat. Gute Ideen soll man ruhig abkupfern. Und auch gute Architektur ausführlich zur Schau stellen – damit man ein Gespür für die Unterschiede bekommt. Weil: Wer immer nur den Feinstaub in der Nase hat, vergisst mit der Zeit, wie gut ein frisches Lüfterl tun kann. Rein metaphorisch gesprochen.

Werner Schandor, www.textbox.at